Der Einsatz von Antibiotika bei der Behandlung von Infektionskrankheiten unterscheidet sich von Land zu Land innerhalb Europas, aber auch innerhalb Deutschlands zum Teil erheblich. Die zu breite und ungezielte Verordnung vor allem auch bei Virusinfektionen führt zur Entwicklung von Antibiotikaresistenzen bis hin zur Unwirksamkeit von Standardtherapien. So wirkt etwa Penicillin nicht mehr in allen Fällen wirksam gegen eine Streptokokken-Infektion, bei den E.-coli -Harnwegsinfektionen haben sich Multiresistente, sogenannte gramnegative Bakterien entwickelt, die gegen vier (4MRGN) oder gegen drei (3MRGN) bestimmte Gruppen von Antibiotika unempfindlich sind. Zu erwähnen sind auch die Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus. Dies Entwicklung von Antibiotikaresistenzen ist dabei in Süd- und Osteuropa besonders stark fortgeschritten, wie der Surveillance Atlas of Infectious Diseases der ECDC zeigt. Um dem entgegen zu wirken, ist eine systematische Aufklärung der Bevölkerung, aber auch des medizinischen Personals erforderlich. Gerade bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen konnten hier in Deutschland in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt werden.
Die systematische Optimierung des Antibiotikaeinsatzes mit dem Ziel, die bestmögliche klinische Behandlung bei gleichzeitiger Minimierung unerwünschter Folgen, insbesondere auf die Resistenzentwicklung, bezeichnet man als Antibiotic Stewardship (ABS). Auch wenn in der pädiatrischen Versorgung hier in den letzten fünfzehn Jahren erhebliche Fortschritte hin zu einer rationaleren Antibiotikatherapie gemacht wurden (die Rate der ambulanten Antibiotikaverordnungen bei Kleinkindern in Deutschland konnte fast halbiert werden), sind aus Sicht des BVKJ weitere Anstrengungen notwendig. Der BVKJ bekennt sich zu den Zielen des Antibiotic Stewardship und „One Health“ als Aufgabe des Berufsverbandes. Durch die Umsetzung und Weiterentwicklung von ABS in der pädiatrischen Versorgung wird die Behandlungsqualität von Kindern und Jugendlichen verbessert und der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen entgegengewirkt.
Ausgangslage
Die Unterscheidung zwischen bakteriellen und viralen Infektionen ist oft schwierig. Symptome können unspezifisch sein, und klassische Entzündungsmarker sind nicht immer aussagekräftig. Besorgte Eltern überschätzen oft die Wirksamkeit von Antibiotika, was zur Einforderung einer Verordnung „zur Sicherheit“ führen kann. Aufgrund der Häufigkeit von akuten fieberhaften Atemwegsinfektionen im Kindesalter kommt es im jungen Lebensalter zu besonders vielen Antibiotikaverordnungen, auch wenn diese gegen virale Infektionen medizinisch nicht indiziert sind. Die Kinder- und Jugendmedizin nimmt daher beim Antibiotic Stewardship eine Vorreiterrolle ein, nicht zuletzt, weil der nicht indizierte Einsatz von Antibiotika in der Kindheit lebenslange Konsequenzen haben kann. Die Investition in ABS ist nicht nur eine medizinische Notwendigkeit, sondern auch eine gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen. Die heute getroffenen Maßnahmen werden entscheidend dafür sein, ob Antibiotika auch in Zukunft als wirksame Therapieoption zur Verfügung stehen.
In den letzten Jahren kam es wiederholt zu Versorgungsengpässen mit Medikamenten, die in der Kinder- und Jugendmedizin zu Standardtherapien gehören. Die fehlende Verfügbarkeit von Basisantibiotika (wie z. B. Penizilline) kann zum Ausweichen auf Medikamente mit unnötig „breitem“ Wirkspektrum und mehr Nebenwirkungen führen und damit zur Entwicklung von Resistenzen beitragen.
Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und ausreichende Ressourcen bereitzustellen. Gleichzeitig müssen alle Akteure im Gesundheitswesen – von Ärzten über Apotheker bis hin zu Eltern – ihren Beitrag zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika leisten. Die Verfügbarkeit von für Kinder geeigneten Medikamenten muss überwacht und sichergestellt werden.
Maßnahmen
- Der BVKJ unterhält eine organisatorische ABS-Struktur mit verbindlichen Kontaktpersonen für die interne und externe Kommunikation und Kooperation.
- Der BVKJ beteiligt sich an der Erstellung und regelmäßigen Aktualisierung praxisgerechter Empfehlungen zum rationalen Antibiotikaeinsatz und verfolgt strukturiert die Umsetzung in der Breite der ambulanten pädiatrischen Versorgung. Hier besteht eine überregionale Zusammenarbeit mit führenden pädiatrischen Infektiologen und der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI). Die im Mai 2019 gegründete gemeinsame „Arbeitsgruppe ambulantes ABS“, veröffentlicht regelmäßig aktualisierte Therapieempfehlungen.
Der BVKJ verfolgt dabei insbesondere folgende Ziele:- Unnötige Antibiotikatherapie vermeiden.
- Sinnvoller Einsatz von Antibiotika so gezielt (Vermeidung von „Breitbandantibiotika“) und kurz wie möglich.
- Verbesserung der Qualität der Antibiotika-Verordnungen, in Bezug auf Wirkstoffe, Dosis, Therapiedauer und Einnahmebedingungen.
- Konsequentes Aufdecken vermeintlicher Antibiotika-Allergien („Delabeling“).
- Durch Verbesserung der Diagnosestellung von Infektionskrankheiten unnötige Antibiotikaverordnungen reduzieren („Diagnostic Stewardship“).
- Der BVKJ unterstützt Praxisnetze bei der Etablierung fach- und sektorübergreifender Kooperation zur Vereinheitlichung von Kommunikation und Verordnungspraxis auf lokaler Ebene zur Reduktion von Verordnungsunsicherheiten auf ärztlicher wie auf Patientenseite.
- Der BVKJ setzt sich für die verpflichtende Integration von ABS-Inhalten in die medizinische Ausbildung, kinder- und jugendärztliche Facharztweiterbildung und kontinuierliche Fortbildung ein, so dass diese sich an regelmäßig aktualisierten evidenzbasierten Leitlinien und Empfehlungen orientieren. Bei seinen eigenen Fortbildungsangeboten wird ABS regelmäßig berücksichtigt.
- Der BVKJ setzt sich für eine verbesserte Elternaufklärung über den rationalen Umgang mit Antibiotika ein. Diese sollte insbesondere über das BIÖG gefördert werden. Eigene Initiativen wie die Fieber-App und europäische Initiativen wie die „Choosing wisely“-Kampagne entwickelt der BVKJ weiter.
- Der BVKJ setzt sich für politische Rahmenbedingungen ein, die ABS zugutekommen:
- die Förderung von ABS in der ambulanten Versorgung z.B. durch ein strukturiertes kostenfreies ABS-Fortbildungsprogramm, Ausbildung und Einsatz ambulanter ABS-Experten, Förderung ABS in lokalen Praxisnetzen, Bonussysteme u.a.
- die Anpassung der Vergütungsstrukturen, damit ausführliche Beratungsgespräche angemessen honoriert werden, um die Verschreibung unnötiger Medikamente zu vermeiden.
- eine bedarfsgerechte Finanzierung der Diagnostik-Infrastruktur in Bezug auf sinnvolle Point-of-Care-Diagnostik
- Ausbau nationaler Surveillance- und Verordnungsfeedback-Systeme für Antibiotikaverbrauch und -Resistenzen in der Pädiatrie.
- Aufbau nationaler Surveillance-Systeme zur Verfügbarkeit kindgerechter Standard-Medikamente und Sicherung ihrer Produktion in Europa.