Politik & Presse
12.06.2020 Pressemitteilung Bielefeld / Viersen

Kinder- und Jugendärzte fordern für NRW angemessenen Umgang mit Krankheitssymptomen in Kindergarten und Schule – Praxen dürfen nicht überlastet werden

Die Kinder- und Jugendärzte in Nordrhein –Westfalen begrüßen ausdrücklich die Rückkehr zum (eingeschränkten) Regelbetrieb in Kitas. Diese Öffnung ist wichtig, sie entlastet die Eltern, vor allem aber kommt sie den Kindern zugute, die jetzt wieder mit Gleichaltrigen spielen und lernen können.

Im Rahmen der nötigen Risikoabschätzung hat das NRW-Familienministerium den Betreuungseinrichtungen Vorgaben zum Umgang mit Kindern gemacht, die Krankheitssymptome aufweisen.

So schreibt das Ministerium in den Handlungsanweisungen für die Kita *„Kinder dürfen generell nicht betreut werden, wenn sie Krankheitssymptome aufweisen. Die Art und Ausprägung der Krankheitssymptome sind dabei unerheblich."*

Weiter heißt es: *"Sofern aufgrund einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion bzw. aufgrund von COVID-19-Krankheitssymptomen Kinder nicht betreut wurden oder Kinder aus dem Angebot abgeholt werden mussten, ist vor erneuter Aufnahme der Betreuung ein ärztliches Attest vorzulegen."*

Diese Vorgaben haben bereits in den letzten Tagen in den Praxen unserer Kolleginnen und Kollegen zu vielfältigen Diskussionen mit verunsicherten Eltern geführt. Die vom Ministerium geforderten Maßnahmen sind nicht mit uns Kinder- und Jugendärzten abgesprochen worden und können von uns auch im Praxisalltag so nicht umgesetzt werden.

Warum wir die Vorgaben des Ministeriums nicht umsetzen können

Das Befolgung der Vorgaben würde bedeuten, dass in Zukunft jeder noch so kleine Infekt oder jedes kleine „Wehwehchen“ eine Vorstellung beim Kinder- und Jugendarzt nach sich ziehen würde. Eltern und Ärzte stehen dann unter dem Druck, eine möglichst schnelle Gesundschreibung des Kindes vorzunehmen oder einen Test auf das Coronavirus vorzunehmen, auch wenn dieser in der jeweiligen Situation weder sinnvoll noch notwendig erscheint. Kein Kind, das einmal hustet, geringe Temperaturerhöhungen hat oder dessen Nase läuft, etwa wegen einer bereits bekannten Pollenallergie, käme mehr ohne ärztliches Attest aus. Das können und wollen wir so nicht leisten, dieses Vorgehen würde auch – gerade in Zeiten von

COVID-19 dringend benötigte – Zeit für sinnvolle normale medizinische Tätigkeiten in unseren Praxen blockieren. Und es würde den Eltern zusätzliche finanzielle Belastungen aufbürden, da die Ausstellung von Bescheinigungen (mitsamt der dafür notwendigen Untersuchungen) aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeklammert ist und aus der eigenen Tasche bezahlt werden muss.

Wir fordern daher:

  1. die beteiligten Ministerien und Behörden müssen umgehend ein praktikables, umsetzbares Konzept vorlegen, wie mit Krankheitssymptomen bei betreuten Kindern umzugehen ist. Dieses ist mit den niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten abzustimmen, soweit es den Ärzten zusätzliche Aufgaben und Tätigkeiten zuweist.
  2. Den Eltern erkrankter Kinder muss ermöglicht werden, diese für den Zeitraum der Erkrankung und somit auch zur Vermeidung potentieller Ansteckungen unbürokratisch zu Hause zu betreuen. Hierbei ist eine Regelung zu finden, die auch die soziale Sicherheit der Eltern und die Sicherheit des Arbeitsplatzes der Eltern berücksichtigt.
  3. Behandlungs- und Diagnostikmaßnahmen, die über den normalen Tätigkeitsumfang der Ärzte hinaus gehen, sind den Ärzten entsprechend zu vergüten, damit diese die notwendigen Strukturen dafür schaffen können. Dies wurde für die Laborleistungen jetzt beschlossen, hierbei wurden allerdings die dafür in den Praxen zu erbringenden Leistungen komplett ausgeblendet oder vergessen.

Wir Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen brauchen Zeit für tatsächlich kranke Kinder und für unsere normalen Praxisaufgaben mit Vorsorgen und Impfungen, aber auch für unsere behinderten und chronisch kranken Patienten. Darüber hinaus setzen wir uns auch stark bei der Bekämpfung der Epidemie ein. Dafür benötigen wir aber mit uns abgestimmte und passende Konzepte – und nicht undurchführbare Forderungen der Politik, welche Erzieherinnen, Eltern und Ärzte einseitig belasten und in einen Konflikt treiben können. Die existierende Regelung führt dazu, dass man gegeneinander arbeitet - das können wir in der Pandemiesituation nicht gebrauchen!

Dr. med. Marcus Heidemann BVKJ Landesverbandsvorsitzender Westfalen-Lippe